Und dann gehört er mir
Am Anfang imitiert man. Am Anfang versucht man exakt das nachzumachen, was der Trainer vorgibt. Je besser der Trainer erklären kann, umso leichter geht es. Ein guter Trainer weiß, was es zu tun gilt, worauf man achten muss, auch wenn man es nicht sehen kann. Dennoch wird es zu Beginn ein Nachmachen, eine Imitation bleiben. „Fake it, till you make it.“ – sagt man auch dazu. Im Verlauf erinnert man sich dann immer leichter an die einzelnen Schritte. Wie bei einem Gedicht, einer Checkliste, weiß man, welcher Schritt nach dem ersten folgt und was danach kommen muss. Man wird besser, aber man arbeitet den Move/Trick/die Übung noch ab. Und irgendwann kommt man an. Man erreicht den Punkt, an welchem man fühlt: Jetzt gehört er mir. Jetzt habe ich mir diesen Move zu eigen gemacht, jetzt fühlt er sich mir zugehörig an.
Der Bahnhof
Der Bahnhof kann hier als eine vielschichtige Metapher verstanden werden. Es kann durchaus sein, dass man als teilnehmende Person erstmal nur „Bahnhof“ versteht, wenn der Trainer erklärt, wie man einen Move auszuführen hat. Darauf will ich eigentlich nicht hinaus, denn dann habe ich als Trainer – zumindest, wenn es so bleiben sollte – definitiv etwas falsch gemacht. Der Bahnhof ist aber auch ein Symbol für eine Reise, für eine Abfahrt und ein Ankommen. So kann man den Trainingsweg verstehen. Dabei ist es fast einerlei, ob es sich um funktionales Training, Yoga, Pole Dance oder Aerial Hoop handelt. Bei einigen Sportarten wird das Ankommen mit einer gewissen Art der Erleuchtung gleichgesetzt, bei anderen wiederum reicht es einem, wenn man die Stunde einfach durchhalten kann und in anderen Sportarten ist die Ankunft mit einem speziellen Move/Trick verbunden, den man dann endlich gemeistert hat.
In jedem Fall ist Training eine Reise mit dem Ziel, dem eigenen Körper näher zu kommen.
Im richtigen Zug?
Wie bereits in der Einleitung geschrieben, bleibt einem zu Beginn der Reise gar nichts anderes übrig, als den anderen in den Zug zu folgen und sich auch hinzusetzen. Man verhält sich so, wie die übrigen Zugreisenden und hört auf das, was der Zugbegleiter zu sagen hat. Er sagt mir, wann ich umsteigen muss, und gibt mir vielleicht noch den ein oder anderen Tipp. Zwar habe ich das meist vorher selbst recherchiert, dennoch ist es etwas anderes, es theoretisch zu sehen und zu lesen und jetzt selbst im Zug zu sitzen.
Für all diejenigen, die mehr schlechte als gute Erfahrungen mit Zugreisen gemacht haben: Tut mir leid, aber jeder Vergleich hinkt bekanntlich.
Man weiß, wo man hinmöchte, man hat den hoffentlich richtigen Zug gewählt und nun beginnt die Reise. Und so schlecht muss der Vergleich zum Zug gar nicht sein, denn auch hier wissen wir erst wenn wir uns auf die Reise begeben, ob der Zug pünktlich ist, ob er mich in der versprochenen Zeit an meinen Bestimmungsort bringt, ob ich guten Service genießen kann, oder ob ich vielleicht im falschen Zug sitze, nicht weiterkomme, mit Verspätungen zu rechnen habe und meinen Anschluss verpasse. Dann ärgere ich mich und beschließe unter Umständen, nie wieder Zug zu fahren, was schade wäre. Oder ich suche mir eine andere Reisemöglichkeit, eine bessere Verbindung und probiere es noch einmal. Vielleicht mache ich dann ganz andere Erfahrungen
Der Trainer als Zugbegleiter
Auch ein Trainer hat ein Auge auf seine Mitreisenden. Er möchte, dass alle bis zum Ziel gelangen, auch wenn die Ziele unterschiedlich sind, die Reisen unterschiedlich lang. Ein Trainer geht durch die Reihen, achtet auf korrektes Verhalten, aber auch darauf, dass es den Mitreisenden gut geht. Er kommt immer wieder, hat ein wachsames Auge und hilft jedem Reisenden. Manchmal trägt er das Gepäck für einen Reisenden.
Unbekanntes Terrain
Die Abfahrt ist meist mit viel Spannung und Aufregung verbunden. Die Silhouette der eigenen Stadt ist noch bekannt. Man sieht, wie Häuser und Straßen, Bäume und Höfe an einem vorbeiziehen. Man kennt die Landschaft. Noch ist man zu Hause.
So beginnt auch die Reise in eine neue Sportart. Vom Bekannten zum Unbekannten. Vom Einfachen zum Komplexen.
Emotionen haben Raum
Und je weiter man sich von zu Hause entfernt, umso weniger Bekanntes sieht man, umso weniger kann man Sicherheit greifen. Es wird einem etwas mulmig zumute.
Auch das ist normal und gut. Wenn man sich in eine neue Sportart einfinden will, gibt es auch hier Situationen, in denen man Angst hat oder einfach nur einen Heidenrespekt vor dem nächsten Move. Vielleicht hemmt einen die Angst, vielleicht ärgert man sich über diese.
Die Angst, die Emotion, ob positiv oder negativ, hat immer Raum verdient. Wichtig ist, dass Kopf und Körper miteinander sprechen, verhandeln und zu einem guten Ergebnis kommen.
Der Kopf kann überzeugt werden, es noch einmal zu versuchen, vielleicht noch einen kleinen Schritt mehr zu wagen, der Körper muss deutlich verlauten lassen, wenn er nicht mehr kann und einfach müde ist. Hört man beiden zu und findet gute Lösungen (manchmal auch Kompromisse), erreicht man zwar nicht immer sofort, was man sich vorgenommen hat, aber man geht respektvoll mit sich selbst um.
Ankommen
Und dann erreicht man das Ziel. Und wenn man den ganzen Weg aufmerksam gegangen ist und sich Zeit für sich, seinen Geist und seinen Körper genommen hat, dann wird man die Reise als wertvollen Baustein erachten und nicht als notwendiges Übel. Nur die Reise bringt uns an den Punkt der Reifung und nur, wenn wir bereit sind, werden wir uns etwas zu eigen machen können.
Und dann auf einmal weiß man: Jetzt gehört er mir. Jetzt mache ich den Move nicht mehr nur nach, jetzt habe ich ihn mir zu eigen gemacht.
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