Die Anrede als Menschenrechtsverletzung

 



Heute morgen habe ich zum wiederholten Male die Webseiten überprüft. Die Berichterstattung über das Urteil eines Gerichts, welches dem Kläger – Entschuldigung: der klagenden Person - Recht gab, als diese einen Konzern wegen Menschenrechtsverletzung verklagte, weil der Konzern nur „Herr“ und „Frau“ als Anrede im Buchungsformular anbietet und sich erdreistet hatte, die Person in einem Schreiben mit „Herr“ anzusprechen, hat mich schockiert. „Sehr geehrte Damen und Herren“ – auch diese Anrede werde ich dann wohl in Zukunft nicht mehr verwenden, will ich nicht Gefahr laufen, verklagt zu werden.

 

Pragmatische Lösungen

In Zukunft werde ich Schriftstücke und Mails nur noch mit „Sehr geehrtes Team“ beginnen und bei der Ansprache einzelner Personen, von denen ich nicht genau wissen kann, wie ihr eigenes Selbstbild aussieht, wohl auf eine höfliche Anrede komplett verzichten (müssen).
Im direkten Umgang werde ich auf das sogenannte „französische Sie“ übergehen: Ich verwende den Vornamen und sieze die Person.

 

Beleidigung und Diffamierung ist kein Angriff, die falsche Anrede schon

Ich vergleiche. Vielleicht sogar Äpfel mit Birnen. Letzte Woche erhielt ich das Schreiben der Staatsanwaltschaft Moabit, in welchem mir mitgeteilt wurde, dass man (natürlich) kein Strafverfahren gegen unseren Gesundheitsminister eröffnen würde, da seine diffamierenden und diskriminierenden Aussagen (Stichwort Geiselhaft), keinen Straftatbestand erfüllen würden, sondern der freien Meinungsäußerung zuzurechnen wären.

 

Wohl aber ist es eine Menschenrechtsverletzung, die vom Gericht auch geahndet wird, wenn ich eine Person mit „Herr“ oder „Frau“ anspreche, ohne mich vorher versichert zu haben, dass ich das darf.

 

Die Abmahnung als Damoklesschwert

Die Anwältin, die die klagende Person vertreten hat, gab zu bedenken, dass es noch mehr Unternehmen geben würde, die sich allein durch die Texte der Webseiten, durch die Schreiben und Ansprachen strafbar machen würden und dass es da noch eine Liste gäbe, die abzuarbeiten wäre.

 

So etwas versetzt mich immer in Aufregung. DGSVO, Impressum, Aktualität, AGB, Hygienekonzept. Da ist die Korrektheit der Ansprache nur noch ein weiteres Mosaiksteinchen.

Ohne es zu wissen, macht man im Grunde immer irgendetwas, wenn nicht alles falsch.

 

Disclaimer

Ich frage mich ernsthaft, wie die Kommunikation – mündlich oder schriftlich – in Zukunft ablaufen soll? Vielleicht entwerfe ich eine Art „Einverständniserklärung“ oder einen „Disclaimer“, den ich vervielfältigt immer bei mir habe, um jedem Menschen, mit dem ich sprechen will oder muss, diesen zunächst vorzulegen und unterschreiben zu lassen, damit ich später nicht wegen einer menschenrechtsverletzenden falschen Anrede, die ich vielleicht nur aus Höflichkeit verwendet habe, verklagt werden kann.

 

Wenn ich die Menschen dann gendergerecht anspreche, dann darf ich sie auch als Geiselnehmer und anderes bezichtigen, denn dann greift das Recht der freien Meinungsäußerung.

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