In der Schweigespirale ist es still
Es gibt Menschen, die schweigen zu den Geschehnissen, weil sie an den ganzen Maßnahmen, Regeln und Entwicklungen nichts finden können, was erwähnenswert wäre. Es gibt Menschen, die schweigen, weil sie sich noch nie öffentlich zu etwas geäußert haben. Und es gibt Menschen, die eine unbestimmte Angst vor Ausgrenzung haben und denken, es wäre geschickter den Mund zu halten. Wenn Kommunikation fehlt, wenn Austausch falsch erscheint, wenn man meint, seine Meinung nicht mehr äußern zu können, weil sie nicht der „gängigen Meinung“ entspricht, dann könnte dies auch an der Schweigespirale liegen.
Die Theorie der Schweigespirale
1974 wurde diese Theorie erstmals in 2 wissenschaftlichen Artikeln vorgestellt. Elisabeth Noelle-Neumann ist die Begründerin dieser Theorie. Ihr Buch, welches erstmals 1980 erschien wurde in 11 Sprachen übersetzt.
Unter dem Titel „Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung, unsere soziale Haut.“ Veröffentlichte Elisabeth Noelle-Neumann diesen Ansatz, der über die Fachwelt hinaus auf große Resonanz stoß.
Heute ist es wichtig, ihre Theorie in unsere Zeit zu übersetzen.
Wie man Schweigen erklären kann
https://noelle-neumann.de/wissenschaftliches-werk/schweigespirale/
Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich nicht beginne, mich zu wiederholen. Doch die Theorie der Schweigespirale ist zu gut, als dass man sie nicht auch mehrfach behandeln kann. Und weil ich nicht schweigen will, noch schweigen kann, behandle ich sie hier erneut und kann jedem nur empfehlen, sich weiter in die Thematik einzulesen.
Meinungsumschwünge in der Gesellschaft werden hier sozialpsychologisch erklärt. Vor allem geht es hier um moralisch-emotional aufgeladene Streitfragen.
Obwohl die Theorie schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, scheint sie heute so lebendig wie nie. Leider.
Noelle-Neumann geht dabei nicht von einem rational gesteuerten und autonomen Menschen aus. So traurig dies klingt, auch hier scheint sie mit ihrer Einschätzung richtig zu liegen.
Angst lenkt Menschen
Eine der Kernaussagen der Schweigespirale ist die Annahme, dass Menschen soziale Isolation fürchten. Der Mensch als soziales Wesen möchte in Gesellschaft sein. Läuft er Gefahr durch sein Verhalten (vorsätzlich) die scheinbar so erstrebenswerte soziale Gemeinschaft zu gefährden, tut er stattdessen vieles, was er selbst nicht für gut oder richtig erachtet, nur, um nicht allein zu sein.
Beobachtung und Einschätzung
Da der Mensch nicht von vornherein wissen kann, wie die anderen Menschen um ihn herum ticken, versucht er dies durch Beobachtung herauszufinden. Für ihn ist vor allem wichtig, welche Meinungen in der Öffentlichkeit vorherrschen und wie man sich in der Öffentlichkeit sozial angepasst zu verhalten hat, um nicht ausgestoßen zu werden.
Isolationsdruck
Verhält sich ein Mensch wider der öffentlichen Meinung, so bekommt er das entsprechende Feedback. Die Gesellschaft missbilligt das Verhalten, die Meinung oder sie lehnt den Menschen komplett ab. Denkt ein Mensch nun, dass er mit seiner Meinung allein dastehen würde, so äußert er diese nicht oder nur sehr verhalten. Umgekehrt äußern sich die Menschen laut und oft, die meinen, öffentlich unterstützt zu werden. Die einen äußern sich laut, die anderen schweigen. So beginnt die Schweigespirale.
Wenn Emotionen im Spiel sind
Typische Smalltalk-Themen haben nicht das Zeug dazu, eine Schweigespirale entstehen zu lassen. Ein Thema, welches eine so unsägliche Spirale hervorbringen kann, muss schon Zündstoff haben. Kontroverse Ansichten vermischt mit vielen Gefühlen, das ist der Stoff, aus dem Schweigespiralen entstehen.
Die Krux
Dabei ist es gar nicht wichtig, wie stark die jeweiligen Lager in ihrer Meinung tatsächlich sind. Es kann sich sogar um ein komplett falsches Bild handeln, was in den Köpfen der Gesellschaft entsteht. In der Öffentlichkeit kann die Meinung einer Minderheit als Mehrheitsmeinung erscheinen, nur dadurch, dass deren Anhänger laut genug sind, eine große Bühne bekommen, selbstbewusst auftreten und ihre Meinung öffentlich mit Nachdruck wiederholen (können und dürfen).
Die Massenmedien
Der Prozess der Schweigespirale wird maßgeblich durch die Massenmedien beeinflusst. Die Massenmedien haben die Macht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, ja sogar diese zu gestalten. Wiederholen die Medien die Glaubenssätze eines Meinungslager und stimmen dabei verschiedene Kanäle in ihren Aussagen (scheinbar) überein, so kommt der Mensch, der eine andere Meinung hat zu dem Schluss, dass er relativ alleine ist. Die oben beschriebene Isolationsfurcht setzt ein. So siegen die Medien, so siegt ein Meinungslager.
Drohungen
Wird die unterschwellig wirksame Angst vor Isolation dabei noch durch tatsächliche Isolationsdrohungen verstärkt, so entwickelt sich aus einer Spirale ein Teufelskreis.
Oftmals sind sich viele Menschen nicht bewusst, wie sehr sie durch die Massenmedien beeinflusst werden und wie stark hier eine Manipulationsgefahr ist. Viele Menschen glauben auch, sie würden fernab der (scheinbar vorherrschenden) öffentlichen Meinung frei entscheiden. Weit gefehlt.
Die öffentliche Meinung als Stabilisator
Konflikte werden in einer Gesellschaft oft zugunsten der
öffentlichen Meinung beigelegt. Die öffentliche Meinung übernimmt somit eine
gewisse Integrationsfunktion.
Es ist also nicht per se schlecht, wenn man ab und an die Klappe hält, um des
lieben Friedens willen.
Wenn allerdings der Friede schon längst nicht mehr da ist und wenn die öffentliche Meinung so sehr verzerrt wird, dass sie nicht mehr wahr ist, dann kann die Schweigespirale für die Gesundheit einer Gesellschaft oder auch einzelner Menschen im wahrsten Sinne des Wortes tödlich werden.
„Schweigen können zeugt von
Kraft,
schweigen wollen von Nachsicht,
schweigen müssen vom Geist
der Zeit.“
Karl Julius Weber (1767-1832), deutscher Jurist, Privatgelehrter und
Schriftsteller.
Weber, Demokritos oder hinterlassene Papiere
eines lachenden Philosophen, 12 Bde., 1832-1840. Der Schwätzer
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