Informativer Sado-Masochismus


Kaum kann man ein wenig aufatmen, weil die bestehenden realen und reellen Bedrohungen und Gefahren sich langsam bannen zu lassen scheinen, wird man mit neuen Informationen der Kategorie „hätte, könnte, wäre möglich“ konfrontiert.
Dies passiert in der aktuellen Situation nicht zum ersten Mal, es scheint manchen Menschen ein Bedürfnis zu sein, angstmachende Nachrichten zu verbreiten. Darüber wird der Deckmantel der Sensibilisierung und Aufklärung gebreitet. Würde man mit dem eigenen Kind so umgehen? Würde man einem Kleinkind, welches die erste Impfung hinter sich gebracht hat, welches zum ersten Mal den Schmerz einer Verletzung verspürt hat und sich langsam wieder fängt, sagen, dass dies erst der Anfang von vielen vielen Schmerzen ist, welches es in seinem Leben noch zu erleiden hätte? Ein empathischer Mensch würde dies nicht tun.
Aber die Leute müssen doch wissen, dass.
Müssen Sie? Reicht es nicht, sich damit zu befassen, wenn es soweit ist, vor allem bei den Dingen, bei denen man aktiv im Vorfeld NICHTS tun kann, um sie zu verändern oder zu verhindern?

Iss dein Brot auf, in Afrika sterben die Kinder
Diese Argumentationslinie ist ebenso sinnbefreit wie das, was man nun mehrfach lesen kann. Bleibende Lungenschäden nach Corona. Wahrscheinlich keine Immunität. Möglichkeit als Langzeitfolge ein oder 2 Jahre später einen Herzinfarkt zu erleiden.
Und? Bringt mich das in irgendeiner Weise weiter? Hilft es mir, (wieder) Vertrauen in meinen Alltag zu fassen? Kann ich aktiv dagegen vorgehen? Nein. Also tut diese Information, deren wissenschaftlicher Background fraglich ist, not?

Mitleid durch Qual
Dieses Verhalten kann man in allen Bereichen finden. In den sozialen Netzwerken natürlich ganz häufig, aber es gibt auch Kirchenvertreter, die der Gemeinde in jedem Gottesdienst meinen, vor Augen führen zu müssen, wie viele Kinder in Afrika verhungern, während man hier (genüsslich) im Gottesdienst sitzt, wie viele Menschen allein in der letzten Minute qualvoll verendet sind.

Zwei Möglichkeiten
Entweder die zuhörende/lesende Person geht hier mit, dann wird genau das erreicht, was der Sender bezweckte: Ein ungutes Gefühl der Trauer, der Ohnmacht, der Hilf- und der Sinnlosigkeit entsteht. Oder man stumpft ab.
Die Möglichkeit zu sagen: „Ja, danke, Du hast mich aufgerüttelt, es ist Zeit, dass ich aktiv werden muss, ich muss etwas tun, jetzt ist es mir klar geworden und ich sehe jetzt auch, wo ich mich (besser) einbringen kann.“ – Diese Möglichkeit existiert nicht.

Fragliche Intention
Was also steckt dahinter? Die Meinung, man müsse alles (Grausame) sagen, weil die Möglichkeit besteht, dass es wahr werden könnte? Oder eine gewisse perfide Lust am Leid, selbst wenn es künstlich generiert werden muss?

Das Leben ist eines der Härtesten
Das Leben ist schön, das Leben ist hart, das Leben ist ungerecht, das Leben ist eine Freude.
Alles stimmt. Die Situation wird nicht besser, wenn man permanent auf alles Schlechte hinweist, was noch kommen könnte.
Schon mal drüber nachgedacht, dass diese Informationen auch auf sensible Gemüter treffen, deren Depressionen dadurch vielleicht verstärkt werden und dass man dann dafür verantwortlich ist? Wohl kaum. Doch liebe informative Sadisten, diesen Schuh dürft Ihr Euch anziehen.

Gerechtfertigte Strafen
Ein wenig kommt mir das Ganze  so vor wie geistige Misshandlung verbunden mit der Argumentation, dass man das nicht tun würde, weil es einem Spaß mache,  sondern dass es einen selbst ebenso schmerzen würde, dass es aber wichtig für den anderen sei, damit er informiert wäre und sich entwickeln könne.
„Ich schlage Dich nicht, weil ich es will oder weil es mir Spaß macht, aber nur so kannst Du lernen. Glaube mir, mir tut das genauso weh wie Dir.“

Man kann vieles tun, aber es frommt nicht alles.

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