Rote Ampeln


Bereits Kinder lernen früh, dass eine rote Ampel zur Vorsicht und zum Stehenbleiben mahnt. Sie mahnt nicht nur, sie schreibt es uns vor und wir folgen. Das ist auch gut so, denn verständliche und verbindliche Regeln sichern ein weitgehend reibungsloses Funktionieren der Gesellschaft. Aber manchmal macht man sich selbst über so selbstverständliche Dinge wie rote Ampeln Gedanken.

Stopp
Wir müssen nicht immer alles verstehen und manchmal ist es auch nicht gut, alles zu hinterfragen, einfach, weil damit wertvolle Zeit vergeudet wurde. Eine Person des Vertrauens brüllt mir zu: „STOOOOOPPPPPP!“
Selbst, wenn ich im Moment überhaupt nicht überreißen kann, worum es geht, werde ich innehalten und auf meinem Weg nicht weitergehen, weil ich der Person, die mir gerade unsanft nur ein einziges Wort zubrüllt, vertraue. Auch weiß oder hoffe ich vielleicht, dass mir der Grund für dieses Verhalten gleich erklärt werden wird.

Ständiges Hinterfragen zehrt an den Nerven und ist nicht immer zielführend
Ein Grundmaß an gegenseitigem Vertrauen ist immer dann wichtig, wenn Menschen miteinander zu tun haben, sich austauschen bzw. etwas miteinander gestalten. Das ist im Sport so, das ist in der Familie und am Arbeitsplatz so, das betrifft die Gesellschaft an sich.

Wenn ich jede Übung, jede Anweisung und jede Kursgestaltung eines Trainers ständig hinterfrage, werde ich zum einen nicht weiterkommen, zum anderen die Gruppe aufhalten und letztlich auch die eigenen und die Energieressourcen des Trainers aufbrauchen, ohne zu einem Ziel zu gelangen.

Wenn ich in einen Bus einsteige, dann vertraue ich auch darauf, dass der Busfahrer weiß, was er tut und wohin er fährt und werde das nicht immer in Frage stellen.
Das ist gut und das ist notwendig.

Akzeptanz ist allerdings nicht mit blindem Gehorsam zu verwechseln
Aber manchmal schleichen sich Gedanken ein und es tauchen Fragen auf, die sich eben nicht einfach so abstellen lassen. Hinsichtlich eines Miteinanders auf Augenhöhe ist es hier wichtig, sich diesen Fragen zu stellen und diese beantworten zu wollen, oder auch zuzugeben, dass man diese Fragen nicht oder noch nicht beantworten kann.

Die rote Ampel
Man fährt auf menschenleeren Straßen nachts um 4:00 Uhr. An einer kleinen Nebenstraße, ebenso menschen- und autoleer wie der Rest des ausgestorbenen/schlafenden Dorfs, ist eine Ampel und diese steht auf Rot. Man hält. Weil es Vorschrift ist. Weil man brav ist, weil Rebellion nicht immer Sinn macht, oder weil man Angst hat, dass aus dem Nichts plötzlich eine Polizeistreife auftaucht oder es womöglich eine fiese Blitzampel sein könnte.
Aber man überlegt sich schon, warum gerade diese Ampel denn nun geschaltet sein muss? Man schüttelt vielleicht den Kopf und versteht es nicht, aber man hält.
Natürlich wird man sich bestimmt nicht am nächsten Tag zur zuständigen Stadt begeben, um nachzufragen, warum just diese Ampel geschaltet sein muss, weil man selbst den Sinn dahinter nicht erkennt.
Dafür ist die Problematik zu klein und die Beeinträchtigung des Lebens und der Freiheit zu gering.

Fragen zulassen
Je mehr man persönlich involviert ist und je mehr es das eigene Leben betrifft, umso bohrender werden die Fragen werden und Fragen sind per se gut.
Als Trainer kann ich auch nicht jeden Kunden/Teilnehmer als enfant terrible und Unterwanderer meiner Kompetenz betrachten, der sich traut, Fragen zu stellen.

Fragen zu stellen ist kein Zeichen von Dummheit und Rebellion
Man muss nicht alles gut finden, was eine andere Person vorschlägt oder vorschreibt. Das ist allerdings nicht gleichbedeutend damit, dass man sich dann den Vorschriften zuwider verhält.
Ich kann an der roten Ampel stehenbleiben und mich dennoch fragen, was das für einen Sinn hat.

Meine Aufgabe als Dienstleister
Im Training, im Seminar, im Coaching – in jedem Bereich meiner beruflichen Tätigkeit ist es wichtig, dass mein Gegenüber versteht, adaptiert, vertraut. Dafür muss ich bereit sein, mich den Fragen zu stellen. Ich muss erklären können, warum Regeln gelten, aber auch, warum und wieso ich Ausnahmen mache.
Ausnahmen müssen begründet sein und eine gute Argumentationsgrundlage haben.

Aktuelles Beispiel aus den Online-Classes
Ich möchte dies abschließend an einem kleinen Beispiel aus den Online-Classes verdeutlichen. Im Studio gilt die Regel „kein Schmuck“. Die Gründe hierfür sind, dass die Trainingsgeräte verkratzt werden und dass durch Schmuck auch ein nicht unerhebliches Verletzungsrisiko besteht.

Trainieren die teilnehmenden Personen von zu Hause aus mit, ist der erste Punkt der Argumentationslinie nichtig. Nun, nicht wirklich nichtig, aber er könnte mir egal sein, denn es sind ja nicht meine Trainingsgeräte, sondern der Privatbesitz der Teilnehmer.

Dennoch weise ich zu Beginn darauf hin, denn das Verletzungsrisiko besteht weiterhin. Und selbst wenn die Teilnehmer sich nicht im Studio befinden, so trainieren sie unter meiner Anleitung und deswegen fühle ich mich für sie verantwortlich.

So mancher mag das zu Beginn übergriffig empfinden, wenn ich darauf hinweise, dass der Schmuck bitte abgenommen werden solle. „Was soll das, wie spielt die sich auf? Ist doch meine Entscheidung, ist doch mein Trainingsgerät!“
Stimmt. Also muss ich begründen können, warum ich diesen Hinweis gebe.
Und ich sollte den Hinweis immer geben. Nicht bei Person A dreimal und bei Person B gar nicht, weil die Kette doch so hübsch ist und ich vielleicht sogar eine ähnliche habe.

Vorurteile
Ohne persönlich beleidigt zu reagieren, sollte ich diese Fragen beantworten können. Selbst, wenn der Hintergrund doch selbstverständlich sein müsste.
Erst wenn ich die Regeln nicht ständig verändere und nicht einer Person mehr Rechte einräume, weil mich persönliche Vorlieben dazu verleiten und einer anderen Person Rechte beschneide, weil mir ihr Körpergeruch nicht passt, schaffe ich nachhaltiges Vertrauen.

Nur weil eine Regel in Frage gestellt wird, kann ich nicht den Fragesteller verurteilen.
Es gibt keine dummen Fragen und es muss wünschenswert bleiben, dass Personen, die miteinander etwas gestalten auch ihr Hirn benutzen dürfen. Es kommt auf mich an, ob ich mich den Fragen stellen will, ob ich sie beantworten kann oder ob ich mich winde.
Letzteres dient auf Dauer sicherlich nicht der Vertrauensbildung.

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