Ein gutes Kind
Ein Mensch erzählt:
„Wissen Sie, ich habe ein wirklich gutes
Kind. Es macht immer, was man ihm sagt. Es hat keine eigene Meinung, also ich
gehe davon aus, dass es keine eigene Meinung hat, denn ich habe es noch nie
danach gefragt und es begehrt auch nie auf. Es funktioniert prima, äußert nie
eigene Bedürfnisse, braucht nichts und ist mit dem zufrieden, was für es
abfällt. Man kann alles von ihm verlangen, es ist wirklich brav. Nie hat es
Widerworte. Es ist so toll, so ein Kind zu haben, um dass man sich überhaupt
nicht kümmern muss. Und wenn es sich mal meldet, dann muss man nur sagen, dass
man das nicht möchte und sofort ist wieder Ruhe. Toll, genauso habe ich mir das
immer vorgestellt. Und wenn ich das Gefühl habe, dass das Kind tatsächlich mal
mehr Aufmerksamkeit braucht, dann gehe ich einfach in ein großes Möbelgeschäft
und gebe es dort in der Kinderbetreuung ab, oder aber ich setze es vor den
Fernseher oder melde es eben bei irgendeinem Ferienprogramm an.“
Ein Mensch erzählt:
„Wir haben nur perfekte Mitarbeiter.
Egal, was man ihnen aufbürdet, sie erledigen es. Sie sind nie krank, sie
verlangen nicht nach Aufmerksamkeit, oder gar, dass man ihnen zuhört.
Überstunden sind ganz normal, sie arbeiten, wenn es sein muss auch mal 24
Stunden am Stück durch, ohne dass sie am nächsten Tag krank sind, oder auch nur
über Müdigkeit jammern. Was die Vorgesetzten-Ebene verlangt, wird erledigt,
dafür sind die Mitarbeiter ja auch da, oder? Für eigene Meinungen, Kritik und
Gegenrede ist in unserem Unternehmen auch kein Platz. Dafür gibt es bei uns
mehr Urlaubsgeld.“
Das darf doch wohl nicht wahr sein?
Kopfschütteln, Unmut? Ein aufkeimendes Gefühl des
Unwohlseins? So kann man doch nicht mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen umgehen,
schon gar nicht mit Kindern? Man begegnet sich doch schließlich mit Respekt und
Wohlwollen. Wertschätzung sei ganz wichtig, entgegnen Sie? Unterschiedliche
Meinungen sind wichtig und können aufzeigen, wo etwas nicht ganz rund läuft.
Nur durch das Vorhandensein unterschiedlicher Meinungen, das Äußern von eigenen
Sichtweisen und Empfindungen kann Entwicklung vonstatten gehen, meinen Sie?
Stimmt . Und jetzt
ersetzen Sie das Kind im ersten Beispiel und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
im zweiten durch das Wort „Körper“.
Ersetzen Sie Kind/Mitarbeiter und verwenden das Wort Körper
Tatsächlich gehen viele Personen so mit ihrem Betriebskapital
um. Ein Körper hat zu funktionieren. Wenn er sich meldet, in welcher Form auch
immer, dann ist etwas verkehrt. Wenn er schon meint, nicht funktionieren zu
müssen, dann bitte wenigstens in der Form, dass man sich krankschreiben lassen
kann und nicht zur Arbeit muss.
Missempfindung oder Schmerz
Viele Menschen können heute nicht mehr zwischen Missempfinden
und Schmerz unterscheiden. Sobald sich der Körper meldet, muss etwas verkehrt
sein. Man setzt sich nicht so gerne mit dem Körper auseinander, reicht ja schon,
wenn man ihn 24 Stunden am Tag mit sich herumschleppen muss. Und wenn er dann
wirklich einmal meint, eine eigene Meinung, die dem Kopfbesitzer nicht passt,
äußern zu müssen, dann geht man eben zum Arzt und lässt sich eine Spritze
geben. Zur Not investiert man auch mal in Wellness oder eine Massage. Muss reichen.
Respekt und Wertschätzung
Ein Körper darf sich melden. Er darf am nächsten Tag seine
Meinung über die körperliche Betätigung des Vortags äußern. Er darf anderer
Meinung sein als sein Kopfbesitzer und wir sollten zuhören. Schmerzen sind
Warnsignale, aber nicht jede Körperäußerung ist Schmerz.
Wir sind dann zufrieden mit unseren Körpern, wenn wir sie
nicht spüren. Mit Kindern und Mitarbeitern gehen wir wertschätzender um.
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