Schimpfwort Toleranz
Ja, richtig gelesen. Für mich persönlich ist das Wort „Toleranz“
ein Schimpfwort.
Anders, als im allgemeinen Sprachgebrauch üblich, bezeichnet
Toleranz im strengen Sinne eben nicht den respektvollen, wertschätzenden und
rücksichtsvollen Umgang mit anderen Menschen, sondern vielmehr eine Haltung,
geprägt von dem Gefühl, die andere Person gerade mal so ertragen zu können. Toleranz
lässt sich auch mit „Duldsamkeit“ oder „Duldung“ gleichsetzen.
Toleranz leitet sich vom lateinischen „tolerare = ertragen,
aushalten, erdulden“ ab.
Führt man sich diese Bedeutung vor Augen, so wird deutlich,
dass es nicht besonders freundlich ist, wenn man eine andere Person wissen
lässt, dass man sie aushalten kann (weil man sie aushalten muss?). Einen
Menschen/ eine Situation zu erdulden bedeutet auch, dass man sich weder mit dem
Menschen noch mit der Situation wohl fühlt und dass man – wenn man nur könnte –
die Situation und die Gesellschaft sofort verändern würde, dass man sich aber
eben nicht in der Lage sieht, dies zu tun und deswegen den Weg der Toleranz
wählt.
Deswegen habe ich heute das Bild des Tätowierens verwendet.
Man hält es aus, weil man das Ergebnis sehen/ haben/ nutzen möchte. Aber kaum
eine Person genießt den Moment, die Motivation ist extrinsisch, man lässt es
über sich ergehen in dem Wissen, dass das Resultat zählt.
Höflichkeit
Toleranz kann gepaart sein mit Höflichkeit. Auch „Höflichkeit“
muss nicht zwangsweise aus dem Herzen kommen und mit Überzeugung gelebt werden. „So benimmt man sich eben (bei Hofe)“.
Ist Höflichkeit nur eine Aneinanderreihung von gelernten und
abgespulten Verhaltensweisen, die ohne Überzeugung stupide zu Tage getragen
werden, so kann auch Höflichkeit Zuneigung und Respekt vermissen lassen. Das
Gegenüber spürt das, aber es gibt nichts, woran es das ungute Gefühl festmachen
kann, schließlich verhält sich der andere ja korrekt.
Respekt
Auch das Wort Respekt kann sehr unterschiedliche Bedeutungen
haben. Manchmal wird es als Synonym für Angst, manchmal für Ehrfurcht
verwendet. Angst und Ehrfurcht können unter Umständen dazu führen, dass man
sich kleiner fühlt als man sich fühlen müsste. Respekt bedeutet aber auch, die
Situation oder die Person umsichtig zu betrachten, eine Rückschau walten zu
lassen, verschiedene Punkte und Dinge zu berücksichtigen.
Echten Respekt kann man nur walten lassen, wenn man bereit
ist, sich empathisch in die Situation des Gegenübers hineinzuversetzen. Respekt
muss dabei nicht zwangsläufig wohlwollend oder anerkennend sein. Er kann auch
neutral zu Tage getragen werden. Man kann Menschen und ihre Leistungen
respektieren, das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man die Menschen auch mögen
muss.
Anerkennung
Etwas freundlicher ist für mich schon der Begriff der
Anerkennung, weil er für mich über den Begriff des Respekts hinausgeht.
Wohlwollen steckt in diesem Begriff genauso wie eine positive Bewertung von
Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Ergebnissen.
Wertschätzung
Was uns allerdings in vielen Situationen tatsächlich fehlt
ist echte Wertschätzung. Der Begriff, inflationär gebraucht, dient als
Schlüssel zum Erfolg mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Kunden und
Kundinnen, Menschen im Allgemeinen. Wertschätzung wird eingefordert, in vielen
Bereichen zu Recht. Doch genau hier liegt der Hund begraben: Echte
Wertschätzung kann man nicht einfordern und in vielen Situationen bringt es
nicht einmal etwas, sich (vorher) der anderen Person gegenüber wertschätzend zu
zeigen und zu verhalten, in der Hoffnung, dann ebenfalls Wertschätzung erwarten
zu können.
Wertschätzung setzt ein Wertesystem voraus. Basiert dieses
Wertesystem auf auswendig gelernten Floskeln, gelernter und geforderter
Toleranz und wird vielleicht noch mit Standesdünkel garniert, so kann keine
Wertschätzung wachsen, vielmehr wird sie im Keim erstickt.
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