Das stand sogar in der Zeitung

 

Die Entwicklung der Zeitungsinhalte - persönliche Meinung

 

Über die Qualität der Qualitätsmedien kann man streiten. Neben Informationen und Berichterstattungen liefern die Zeitungen auch Nebenmaterial, welches nicht nur die Denkweisen der schreibenden Personen zeigt, sondern auch die Entwicklung der Berichterstattung. Da ich selbst nicht perfekt bin, was Rechtschreibung und Zeichensetzung betrifft erst recht nicht, wage ich es nicht, dies zu kritisieren, auch wenn ich bisher der Meinung war, dass dort Personen sitzen würden, die sich um Rechtschreibung etc. explizit kümmern würden. Oftmals scheint diese ehemalige Notwendigkeit aber den allgemeinen Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen zu sein.

Das nur am Rande. In letzter Zeit fällt mir auf, dass das Argument „stand heute in der Zeitung“ als allumfassend benutzt wird, um die Dringlichkeit, die Durchschlagskraft oder sogar den vermeintlichen Wahrheitsgehalt der „Meldung“ zu unterstreichen. Dabei scheint es unerheblich zu sein, in welcher Zeitung der jeweilige Beitrag zu finden war und um was für eine Art des Beitrags es sich handelte. Da ein Leserbrief allerdings nicht mit einer Berichterstattung und ein Kommentar nicht mit einer Pressemitteilung verglichen werden kann, macht es Sinn, sich die Beitragsarten noch einmal zu Gemüte zu führen.

 

 

Von der Stellenanzeige bis hin zum Leserbrief

 

In einer Zeitung finden man Nachrichten, Berichte, Reportagen, Leserbriefe, Kommentare, Interviews, Pressemitteilungen, Anzeigen, Kolumnen.
Alles gehört zu den Beitragsarten einer Zeitung. Doch nicht alles lässt sich, hinsichtlich des Informations- und Wahrheitsgehalts vergleichen. Man kann auch nicht sagen, man wäre angezogen, wenn man ausschließlich Schuhe trägt, selbst wenn die Schuhe in die Rubrik „Kleidung“ gehören.

 

Textsorten

 

Grundsätzlich ist es wichtig zu erkennen, ob es sich um einen informierenden Beitrag (Nachricht, Bericht) handelt oder angeblich handeln soll, oder ob hier eine Meinung geäußert wird (Reportage, Leserbrief, Kommentar). Und auch, wie der Beitrag in die Zeitung kam, darf hinterfragt werden. Normalerweise wissen die Urheber, wenn die Zeitung sich ihrer Dinge bedient, aber auch das ist nicht immer so. Es kommt schon mal vor, dass die Zeitung dem Urheber nicht Bescheid gibt und einfach etwas veröffentlicht.

 

Nachrichten

 

. . . sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Nachrichten sollten in einer Zeitung eine Spalte umfassen und darüber berichten, was gerade in der Welt passiert. Hier hat die eigene Meinung der verfassenden Person nichts verloren. Nüchtern sollte sie sein, die Nachricht. Die W-Fragen sollten in einer Nachricht emotionslos beantwortet werden. Wer? Was? Wann? Wo? Wie?
Lesende Personen sollen durch eine Nachricht schnell die wichtigsten Informationen bekommen.

Wie langweilig. Da werden Zeilen in einer Zeitung gefüllt, ohne die Möglichkeit der Einflussnahme zu nutzen.

Dazu kommen noch die Erwartungen, die mit einer Nachricht verknüpft sind: Die Nachricht sollte wahr und sachlich sein, keine Meinung beinhalten, objektiv aufgebaut werden und Quellen beinhalten.

 

Gut. Ich halte also fest: Nachrichten sind in den heutigen Zeitungen nicht mehr von großer Wichtigkeit (persönliche Meinung!).

 

Der Bericht

 

Berichte sind Nachrichten in Langform. Eigentlich. Immer noch kein Platz für eigene Meinung.
Bei Berichten können aber Fotos platziert werden. Je nachdem, was für ein Foto gewählt wird, kann man auf die Emotionen der lesenden Personen Einfluss nehmen. Prima!

 

Ein Bericht sollte genau und ausführlich über das Ereignis informieren: Welches Hintergrundwissen ist unter Umständen wichtig? Welche Personen waren beteiligt? Welche Folgen hatte das Ereignis? Der Bericht wird in der Vergangenheitsform geschrieben.
Ein Bericht ist normalerweise wie folgt aufgebaut: Headline (Überschrift), erklärende zweite Überschrift (Unterzeile) und Teaser (erster Absatz – Vorspann). Der erste Absatz fasst normalerweise kurz zusammen, was im Bericht dargelegt werden soll.

 

Im Wissen, dass heute alles schnell gehen muss, sind die Headlines und der erste Absatz wichtige Bestandteile. Normalerweise sollten diese Fragen beantworten, nicht neue aufwerfen.

Je nachdem, wie die Schlagzeile und die Unterüberschrift gestaltet sind, kann man manipulativ steuern, was im nächsten Telegram-Chat als Screenshot geteilt wird.

 

Es macht nun einmal einen Unterschied, ob die Zeitung schreibt: „Demonstrationen gegen geplante Impfpflicht in Aachen. Deutlich mehr Teilnehmer als vergangene Woche.“ – oder ob hier steht: „Coronaleugner und Nazis gegen die Regierung. Immer mehr Verblendete gehen auf die Straße.“

 

Die Reportage

 

Jetzt wird’s lebendig. Beteiligte kommen zu Wort. Je nach Qualität der Reportage und je nach Ziel, welches mit der Reportage verfolgt werden soll, werden scheinbar die zu Wort kommenden Beteiligten vorselektiert.
Im Kern sollte sich eine Reportage an Fakten und Tatsachen orientieren, allerdings dürfen die subjektiven Eindrücke und Erlebnisse der Protagonisten nicht zu kurz kommen.

Die Schlagzeile kickt. Jetzt kommt es darauf an, die lesende Person zu fesseln. Tricks dürfen angewendet werden. Wie in einem Buch ist der Anfang wichtig. Schafft man es damit, die Neugier der lesenden Person zu wecken, so bleibt sie dabei.

In einer Reportage soll schon eine persönliche Bindung zu den Protagonisten hergestellt werden. Die Sprache ist bildhaft, die Protagonisten kommen selbst zu Wort, mit Spannung erwartet die lesende Person den weiteren Verlauf.

Happy End oder Tragödie? Wie wird das Ganze enden? Das entscheidet die Person, die die Reportage erstellt.

 

Das Interview

 

Fragen und Antworten. Die Person, die bei der Zeitung beschäftigt ist, stellt die Fragen, die andere Person antwortet. Nicht umgekehrt.

Der Interviewer sollte bei den Tatsachen bleiben, die interviewte Person gibt natürlich auch ihre eigene Meinung zum Besten.

Auch hier ist es nicht vorgesehen, dass die Rollen vertauscht werden. Eigentlich.

Demnach sind Suggestivfragen der interviewenden Person auch immer ein Indiz für eine etwas unsaubere Arbeitsweise.

Was sind Suggestivfragen? Hier ein Beispiel: „Sie sind also der Meinung, dass die Zeitungen und die Berichterstattungen sich in der letzten Zeit eher zum Schlechteren verändert haben?“

Grundsätzlich scheinen ein paar Menschen auch in allen Fragen rhetorische Fragen zu sehen. Eine Frage stellt etwas in Frage. Ziel einer Frage ist es, ein Antwort zu bekommen. Meist wünscht man sich die Antwort von der Person/ der Personengruppe, an die man die Frage gerichtet hat. Das ist heute auch nicht mehr jeder Person bewusst. 

 

Der Leserbrief

 

15 Zeilen Ruhm. Der eigene Name in der Zeitung. Die eigene Meinung so wichtig, dass sie von der Zeitung abgedruckt wurde. Wie genial.

Ein Leser (m, w, d) reagiert auf einen Bericht, eine Reportage oder etwas Ähnliches. Schriftlich. Mit Namen. Gerne auch mit Titel und Berufsbezeichnung oder Firmennamen. Stellung beziehen, Meinung raushauen, Emotionen spielen lassen.

Mir persönlich erscheint es hier manchmal so, dass sich die beteiligten Parteien gegenseitig hochpushen. Je deutlicher ein Leserbrief, umso eher wird er wohl abgedruckt. Je provokanter ein Leserbrief, umso eher wird er gelesen. Gut für den Schreiber (m, w, d). Gut für die Zeitung.

 

Der Kommentar

 

Der Kommentar ist der Leserbrief eines Redakteurs. Er/sie/es hat den Vorteil, dass er/sie/es sich nicht erst per Brief an die Zeitung wenden muss. Mittels hausinterner Absprache wird Platz zugeteilt. Ein Kommentar stellt die persönliche Meinung einer Person dar.

 

Ein Kommentar ist als solcher gekennzeichnet, meist findet man diese Kennzeichnung schon über der Überschrift. Persönliche Meinungen sind keine Berichte, Berichte keine persönlichen Meinungen. Leitartikel stellen eine besondere Art des Kommentars dar.

 

Zusammenfassung

 

Ich vermisse seit langer Zeit gute Berichte in der Zeitung. Meinem persönlichen Empfinden nach gibt es nur noch Meinungen. Meinungsmache. Diffamierung hier, Halbwahrheiten dort.

 

Die (vielleicht auch falsch empfundene) Entwicklung der „Zeitung“ ist eine Sache, das unkontrollierte Teilen von Zeitungsseiten eine andere.

„Guck mal, stand heute in der Zeitung“ – dann das Foto. Geht viral. Geteilt in 20 Telegram-Gruppen und 15 WA-Chats.

 

Welche Zeitung? War das ein Bericht? War das ein Kommentar? War das ein Leserbrief?

Da wird auch gerne mal der Leserbrief, erschienen im Anzeigeblättchen eines 15000 Einwohnerorts als Quelle der Wahrheit dargestellt.

 

Ein Kommentar stellt die eigene Meinung einer Person dar. Meinungen darf man (noch) haben. Meinungen werden auch gerne als solche abgetippt, vor allem dann, wenn sie dem gängigen Narrativ entsprechen. Mit Meinungen kann man schön auf anderen Personen herumhacken, um sich dann hinter dem großen Bruder „Kommentar“ zu verstecken. Ich darf das, stand doch „Kommentar“ drüber. Gleiches geschieht häufig mit Leserbriefen.

Zur Unterstützung und zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit tatsächlich stattfindender Entwicklungen trägt ein Weitertragen von Kommentaren nicht bei.

Stimmung anheizen, Gegner identifizieren, Meinungsmache betreiben und verstärken – ja das geht mit Kommentaren und Leitartikeln und Leserbriefen.

Das geht auch mit einer Missinterpretation von Grammatik, Semantik und Art des Satzbaus. Eine Frage ist keine Behauptung, eine Interpretation nicht das, was die Sachebene an Information bietet. Wenn der Leser (m, w, d) liest, dass der Himmel rot wäre, obwohl in "Der Zeitung" die Frage gestellt wird, warum der Himmel nicht mehr durchgehend blau wäre, dann ist weder die Zeitung noch der Urheber des Artikels schuld an der Missinterpretation.

 

Der argumentativ eingesetzte Einleitungssatz: „Stand sogar in der Zeitung“ – hat hier nichts verloren und zeugt seinerseits von mangelnder Objektivität.

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