Wenn man lästig wird...

 

lästiger Zeitgenosse (m,w,d)

Und täglich grüßt das Murmeltier. Ich bin mit diesem Gefühl aufgewachsen, lästigerweise existent zu sein. Das Leben setzt einem Lektionen so oft vor, bis man sie gelernt hat, und so fühle ich mich heute wieder als lästiger Bestandteil der Gesellschaft. Was aber kann ich daraus lernen? Besser nicht existent zu sein oder auf die Gesellschaft zu verzichten? Beides sind nicht gerade rosige Aussichten, jedenfalls nicht für mich. Ich mag Menschen und ich mag es mit Menschen zusammen zu sein, zu kommunizieren, zu lachen, gemeinsam etwas zu gestalten. Und ja, ich mag es auch, wenn ich das Gefühl habe, dass es auch den anderen Menschen etwas „bringt“, dass sie in irgendeiner Weise davon profitieren können.

Wenn du zu uns gehören willst

Klar, ich habe es in der Hand. Ich könnte dieses Gefühl, eine Last und etwas Verachtenswertes für die Gesellschaft zu sein, ganz leicht beenden. Ein kleiner Pieks und ich würde mich als würdig erweisen. Ein bisschen wie eine Mutprobe, die man bestehen muss, damit man in eine Bande oder eine Gemeinschaft aufgenommen wird. Man muss schon zeigen, dass man es wert ist.

Bei Mutproben, die man absolvieren sollte, um einer Gemeinschaft angehören zu können, hat man gelernt, dass es diese Gruppe nicht wert wäre, wenn sie einen nicht so akzeptieren würden, wie man wäre, wenn man sich verändern müsse, um ihnen zu gefallen. Oftmals wurde einem auch nahegelegt, dass man nichts machen solle und sogar auch nichts machen müsse, bei dem man sich nicht wohlfühlen würde und was man eigentlich auch gar nicht machen will.

Das klang alles ermutigend, es ist nicht mehr wahr.

 

Leistung und Nutzen als Daseinsberechtigung

Eine Daseinsberechtigung hat die Person, die einen Nutzen hat. Einen Nutzen für die übrige Gesellschaft, einen Nutzen als Steuerzahler, einen Nutzen, den anderen aus ihr ziehen können. Wer keinen Vorteil offerieren kann, ist eine Belastung. Belastungen gilt es zu vermeiden oder gar zu eliminieren.

 

Würde hängt mir Wertigkeit zusammen

Die Würde eines Menschen ist unantastbar. Klingt gut. Ist nicht mehr wahr. Mit Würde wird der Mensch behandelt, der sich angepasst verhält, nicht der, der einfach nur existent ist. Jeder Mensch ist gleich viel wert, ganz gleich wie alt, wie jung, wie gesund, wie krank er ist. Er ist würdevoll zu behandeln, selbst wenn er Fehler macht.
Das war einmal.

 

Nur brav und angepasst zu ertragen

Den Raum, den ich einnehme, die Luft, die ich atme, die Ressourcen, die ich verbrauche, sind dann gerechtfertigt, wenn ich sie mir mit Leistung erkaufe. Wohlwollen, Freundlichkeit, Wertschätzung sind keine Geschenke, sondern Bezahlungen für die Leistung, die ich zu erbringen bereit bin. Leben als Geschäft.

 

Rechte und Pflichten

Natürlich hat jeder Mensch, der in einer Gemeinschaft lebt, Pflichten. Natürlich kann ich nicht immer das tun und lassen, was mir gerade in den Sinn kommt. So möchte ich diese Gedanken auch nicht verstanden wissen. Freiheit ist allerdings nicht einseitig zu verstehen.
Auch wenn man vermeintlich alles richtig macht, gibt es Menschen, die einen ablehnen werden und es ist ihr gutes Recht. Geschmackssache. Deren freie Entscheidung. Da kann ich mich auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln.
Selbst wenn ich bereit bin, noch mehr zu leisten, noch mehr zu tun, noch besser zu werden, ich werde mir Wohlwollen und Sympathie nicht erkaufen oder erarbeiten können. Das ist gut so.

 

Der Gesellschaft auf die Nerven gehen

Gnade vor Recht ergehen lassen. Das kann manchmal auch bedeuten, den anderen, den man nicht leiden kann, auch wenn er keinen Fehler gemacht hat, einfach in Ruhe zu lassen. Jeder Mensch hat die Freiheit, einen anderen Menschen nicht zu mögen oder abzulehnen. Diese Freiheit sollte aber nicht gleichbedeutend sein mit der Erlaubnis, diesen Menschen gängeln, diffamieren, mobben, unter Druck setzen zu dürfen.

 

Wer sich nicht anpasst, wir bestraft

In Ruhe gelassen wird man zurzeit nicht, wenn man nicht bereit ist, sich anzupassen und seine eigenen Überzeugungen über Bord zu werfen. Meine Pflicht ist es, die Gefährdung anderer zu minimieren. Vollkommen richtig. Aus diesem Grund hält man sich an Regeln, beachtet Vorschriften und trägt Sorge dafür, dass beispielsweise Hygienekonzepte eingehalten werden. Man testet sich, obwohl man sich gesund fühlt, um die unsichtbare Gefahr, die durch die bloße Existenz der eigenen Person vorhanden sein könnte, ausschließen zu können. Man hält Abstand, umarmt keine anderen Menschen mehr und hält die Luft an, wenn einem eine andere Person zu nahekommt, weil es ja doch sein könnte, dass die eigene Atemluft toxisch ist.

 

Eine große Enttäuschung

Aber das reicht nicht. Für die anderen muss man sich verändern. Für die anderen muss man Opfer bringen. Für die anderen muss man sich aufgeben. Selbstbestimmung? Nicht, wenn man keine Enttäuschung sein möchte. Liebesentzug und Sanktionen. Natürlich kannst Du tun und lassen, was Du willst, Du musst nur bereit sein, mit den Konsequenzen zu leben. Klingt logisch. Klingt gut. Klingt nachvollziehbar. Leistung und Gegenleistung. Schließlich ist das Leben ein Geschäft. Keine Leistung = keine Anerkennung. Keine Angepasstheit und dazu noch ein eigener Kopf mit eigenen Gedanken? Wie anstrengend, wie belastend für den Rest der gesamten Welt. Kann weg. Braucht niemand.
Und die Personen, die so argumentieren, müssen dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben. Sie werden belohnt mit der Freiheit, Rechte für sich in Anspruch nehmen zu dürfen, die einmal für alle Menschen zu gelten schienen.
Wer aber die Gesellschaft, die Politik, die „Anderen“ so enttäuscht, der kann nicht auf Wohlwollen und Verständnis hoffen, das muss klar sein. Darüber hat sich auch niemand zu beschweren, schließlich war es ja dessen „freie“ Entscheidung.

 

Eine von uns

„Bist du jetzt auch eine von uns? Das ist aber schön“ – so der Satz, den ich mithören durfte, als eine Person einer anderen mitteilte, dass sie jetzt auch vollständig .sei.

„Da fühlt man sich doch gleich wieder wie ein Mensch, nicht wahr?“ – so die weitere Aussage.

Ja, Menschsein und Würde hat etwas damit zu tun, ob man dazugehören will. Und wenn man dazugehören will, dann muss dies auch beweisen. Wie bei der Mutprobe vor der man uns im Teenageralter immer gewarnt hat. Aber Zeiten ändern sich eben.

 

Minderwertig und ausgegrenzt

Toleranz, Respekt, Würde. All diese schönen Worte sind des Lebens beraubt. Sie sind nur noch Worthülsen und ich frage mich, ob sie jemals gegolten haben.

Es ist leicht, jemanden zu schätzen und zu respektieren, wenn die Zeiten einfach sind. Ob man den anderen Menschen wirklich würdigt, zeigt sich heute.
Zeiten ändern sich eben.

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