Unsichtbarer Schmerz
Wir glauben gerne, was wir sehen. Schmerzen kann man nicht sehen. Das Schmerzempfinden ist von Person zu Person unterschiedlich. Eine Person empfindet einen abgebrochenen Fingernagel als schlimm, eine andere Person spricht davon, dass es ihr gutgehen würde, obwohl sie fast buchstäblich mit dem Kopf unterm Arm erscheint.
Abgesehen von diesen Selbstverständlichkeiten stellt sich dann auch immer die Frage, was eine Person mit der Beschreibung ihrer Beschwerden erreichen will. Möchte sie das Umfeld in Kenntnis setzen oder soll „mehr“ damit bewirkt werden. Das weiß allein die Person selbst und die Interpretation des Umfelds kann hier vollkommen falsch sein.
Zur Kenntnisnahme
Jede Kursstunde beginnt mit der Frage des Trainers/der Trainerin, ob er/sie etwas wissen muss, was den Gesundheitsstatus der teilnehmenden Personen betrifft und unter Umständen beachtet werden muss oder soll. Die Antworten haben eine Bandbreite von „Ich bin geimpft.“ bis „mein Zehennagel ist eingewachsen“.
Fakt ist, wenn eine Person zum Training erscheint, geht sie und auch der Trainer/die Trainerin davon aus, dass das Training absolviert werden kann. Manches verbessert sich auch während des Trainings, anderes kann das Training negativ beeinflussen. Wie der Sachverhalt ist, wird man gemeinsam während des Trainings feststellen.
Zudem zeigt sich hier bereits die oben beschriebene Subjektivität der Empfindungen, die im Grunde nicht bewertet werden sollte. Manches ist für den Trainer einfach wichtig zu wissen. Wer gerade Kreislaufprobleme hat oder mit Kopfschmerzen kämpft, ist unter Umständen nicht ganz so leistungsfähig wie im Normalfall.
Kopfschmerzen sieht man nicht. Kreislaufprobleme auch nicht – zumindest nicht, wenn die Person nicht zusammenbricht. Dennoch ist es wichtig es zu erwähnen.
Wenn die Person diese Dinge erwähnt, so scheint es für sie wichtig zu sein und dann hat es der Trainer/die Trainerin auch zu respektieren.
Unsichtbares Vertrauen
Und wenn eine Person sagt, es würde ihr wirklich nicht gutgehen und dabei aussieht wie das blühende Leben? Wir können immer nur an Menschen hinsehen, nie in sie hineinsehen. Es kommt immer darauf an, ob das Empfinden, die Schmerzen, der Allgemeinzustand in irgendeiner Weise gefährlich werden könnte. Wer nach jeder Bewegung jammert, wer sich darüber beschwert, dass man beim Sport schwitzt, wer sich darüber beschwert, dass die Muskeln arbeiten müssen und man diese spürt, wer an dem Anstrengungsempfinden so gar nichts Gutes lassen kann, der ist sicherlich nicht richtig aufgehoben. Er oder sie tut sich dann ja auch keinen Gefallen. Aber es gibt Personen, die sagen einmal, dass es ihnen nicht gutgehen würde, und lassen sich dann nichts mehr anmerken. Sie kämpfen einen stillen Kampf. Vielleicht sieht man zufällig hin, wenn sie gerade das Gesicht verziehen. Auf die Frage, was denn los wäre, kommt dann ruhig, fast nonchalant, dass sie doch gesagt hätten, es würde ihnen nicht gutgehen.
Es sprühen keine Funken, es spritzt kein Blut, kein Fuß ist eingegipst und der Mensch sieht auch nicht aus wie der wandelnde Tod. All das muss nicht heißen, dass dieser Mensch nicht gerade kämpft.
Meist sind es diejenigen, die kaum etwas erwähnen, die sich mit ihren Beschwerden zurückhalten, die man kaum bemerkt, die wirklich leiden.
Für diese Menschen bedeutet es eine große Überwindung, überhaupt zuzugeben, dass sie nicht „ganz so fit sind“.
Sichtbare Pflaster
Vor Jahren hatte ich schlimme Rückenschmerzen. Es war der akute Bandscheibenvorfall in der HWS, der sich da bemerkbar machte. Über Wochen. Ich habe es verlauten lassen. Punkt. Sonst hat man mir nichts angemerkt. Aber jede Stunde war ein Kampf. Nachdem es nicht besser wurde, hat mich mein Weg dann doch zum Arzt geführt und ich bekam 12 Quaddelspritzen (Wasserspritzen) in den Rücken, um den Druck zu nehmen. Am Abend stand ich im Studio mit 12 Pflastern.
Ein großes Hallo, bestürzte Blicke, Fragen, was ich denn gemacht hätte. Antwort: „Das Gleiche wie die letzten 3 Wochen auch. Da habe ich es eben nur kurz erwähnt.“
Die Pflaster waren der sichtbare Beweis dafür, dass es wohl doch nicht nur „leeres Gerede“ gewesen ist.
Muss ich mir jetzt immer Pflaster irgendwo hin kleben?
(P.S.: Nein, Pause machen ist leider keine Option. War es noch nie, weil ich es mir nicht leisten kann. Punkt. Lassen wir das Thema einfach, okay?)
Die härtesten Kämpfe sind oftmals still
Migräne, Magen- und Darmprobleme, Nervenentzündungen, Bandscheibenvorfälle, MS, psychische Belastungen, Trauer, Resignation, Depression und vieles mehr sind nur eine Handvoll an Belastungen und Gegner, gegen die so viele Menschen kämpfen müssen, ohne dass man immer etwas von ihren Kämpfen mitbekommt. Die Kämpfe, die Belastung, die Schmerzen kleinzureden, nur weil man sie von außen nicht sehen kann, ist nicht schön.
Es gibt Menschen, die kämpfen jeden Tag. Sie kämpfen einen stillen Kampf. Sie tragen weder einen Gips noch haben sie Pflaster. Sie laufen ohne Krücken und sehen aus wie das blühende Leben.
Nur weil man nichts sieht, diesen Menschen den inneren immerwährenden Kampf abzusprechen ist eine Form von Respektlosigkeit.
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