Schubladendenken und Etikettierungsansatz

 

Hat ein Schrank nur 2 Schubladen, so fällt das Einordnen ziemlich leicht. Auch das Suchen. Je mehr Schubladen vorhanden sind, desto mehr Zeit braucht man, sich zu überlegen, in welche Schublade man etwas verstauen möchte und umso mehr Zeit benötigt man auch, wenn man es dann mal wieder braucht und nicht mehr sofort weiß, in welcher Schublade man es verstaut hatte. Schubladen sind allerdings generell „wiederverwendbar“. Man kann etwas neu einordnen, man kann die Schublade wieder aufziehen, außer natürlich, man hat sie abgeschlossen und den Schlüssel weggeworfen.

So ähnlich läuft es auch in unseren Gehirnen ab.

 

Schubladendenken

und Klischees werden gemeinhin bekennend abgelehnt. Offen und verständnisvoll wollen wir Menschen und Situationen begegnen und wünschen uns auch, dass man uns so begegnet. Die Realität sieht anders aus. Nicht, weil wir vorsätzlich Menschen mit Etiketten versehen und sie gerne in (falsche) Schubladen stecken, sondern weil es einfacher ist.

 

Je unbekannter desto eher wird etwas abgelehnt

Interessant dabei ist, dass nicht unbedingt die Dinge, die in Schublade 1 oder 2 passen uns irritieren und zur sofortigen Ablehnung führen, sondern Dinge/Personen/Situationen, die wir nicht einordnen können, für die wir keine Schublade haben. Sie verunsichern uns und kosten Zeit, verursachen vielleicht sogar Stress. Da wir ja grundsätzlich keine Zeit haben und der Alltag schon genug Stress für uns parat hält, sind derartige Situationen/Menschen/Dinge abzulehnen.

 

Labeling approach

Zu Deutsch: Etikettierungsansatz. Vereinfacht gesagt machen wir Situationen erst gut oder schlecht, kriminell oder schön, durch das Etikett, welches wir ihnen verleihen.

Die sogenannte Labelling Theory wurde von Frank Tannenbaum (1893-1969) maßgeblich mitbestimmt. Er beschrieb als Erster, dass dadurch, dass man Menschen bestimmte Eigenschaften zuschreiben würde, diese erst in der Realität entstehen würden.

 

Kriminalisierung

Der Etikettierungsansatz ist eine soziologische Theorie, die in der Kriminologie vermehrt Beachtung fand. Sehr vereinfacht dargestellt kann man sagen, dass Menschen, die fortwährend falsch eingeschätzt werden, immer wieder mit den falschen Etiketten versehen werden, irgendwann „aufgeben“ und sich den Etiketten konform verhalten, weil es einfacher ist, als sich ständig dagegen zu wehren.

 

Klischees und Vorurteile

sind somit zum Teil „self fullfilling prophecies“. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass Klischees und Vorurteile zum einen nicht aus dem Nichts entstehen und zum anderen, auch eine gewisse Schutzfunktion erfüllen. Sollten Sie nachts unterwegs sein und eine wildfremde Person sich ihnen nähern, die ein Messer in der Hand hält, so werden sie zunächst auch an eine mögliche Gefahrensituation denken und nicht unbedingt die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass dies ein „Performance-Künstler“ ist, der für seinen nächsten Auftritt bei Dunkelheit übt, oder dass es sich hier um eine Feldstudie handelt, die mittels Live-Experimenten herauszufinden versucht, wie Angst in der Bevölkerung entsteht.

 

Offenheit ist anstrengend

Poledance ist ein Sport und die Ausführenden sind nicht zwangsläufig „Stripperinnen“. Dicke Menschen sind nicht zwangsläufig „gemütlich“. Studierte Personen nicht zwangsläufig intelligent und machtvolle Personen nicht automatisch allwissend. Es wäre aber leichter, wenn dem so wäre, dann müsste man nicht so viel nachdenken.

 

Da Klischees und Vorurteile, Etiketten, die jemand aufgedrückt bekommt, aber immer auch zu einem Verhalten unsererseits führen, ist es manchmal sinnvoll, die Schublade, in die man den Menschen/die Situation gesteckt hat, wieder aufzuziehen und die Sachlage neu zu ordnen. Der beste Schrank bringt nichts für das Ordnungsgefühl, wenn wir alle Schubladen nur einmal benutzen, abschließen und die Schlüssel für immer fortwerfen.

 

 

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