Einen Versuch ist es wert

 

Am Freitag, den 30.10.2020, einen Tag vor Inkrafttreten des 2. Lockdowns, der als Lockdown light betitelt wird, sitze ich erneut am Schreibtisch und bringe meine Gedanken zu Papier.
In Augsburg wurde beschlossen, den 2. Lockdown schon ab Freitag, 30.10.2020 - 21:00 Uhr Inkrafttreten zu lassen. Wenn dieser Beitrag veröffentlicht wird, sind wieder einige Wochen vergangen. Ich bin gespannt, was sich bis dahin getan hat...

 

Lockdown light? – Wenn die Einhaltung der Regeln bestraft wird

 

Sehr geehrte Bundeskanzlerin Merkel,
sehr geehrter Ministerpräsident Söder,
sehr geehrte Oberbürgermeisterin Weber,
sehr geehrter Herr Dr. Ullrich,
sehr geehrter Herr Spahn,

 

in diesen Zeiten möchte ich nicht mit Ihnen tauschen, das sei vorweggesagt. Entscheidungen müssen abgewogen und getroffen werden und es ist klar, dass es immer Personen gibt, die mit den Entscheidungen nicht einverstanden sein werden.

 

Die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen und Maßnahmen tragen allerdings erheblich dazu bei, dass sich Verständnis einstellen kann, welches dazu führt, dass man die Maßnahmen aus voller Überzeugung mittragen kann.

 

Und Plausibilität und Nachvollziehbarkeit sind die Punkte, die ich persönlich im Moment leider in vielen Bereichen vermisse. Alle Punkte, die bei mir zum Unverständnis führen, kann ich hier nicht auflisten, aber einige möchte ich exemplarisch nennen:

·      

 Oberstes Gebot ist es, Abstand zu wahren. Deswegen müssen im erneuten Lockdown (light?) die Situationen, in welchen der Abstand nicht gewahrt werden kann, minimiert werden.
Warum müssen dann Kosmetikerinnen und Tätowierer schließen, Friseure dürfen aber ihre Läden öffnen?

·      

 Infektionsketten müssen nachvollzogen werden können, um gegebenenfalls die betroffenen Personen schnell zu informieren und die Ketten zu durchbrechen.

Warum müssen dann Gastronomen wieder schließen, die seit Inkrafttreten der Auflagen dokumentieren, wer sich wann und wie lange in ihrem Lokal aufgehalten hat?

 

·      AHA-L hilft, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Hier machen sich gleich mehrere Fragen in meinem Kopf breit. Warum steigt dann das Infektionsgeschehen im Moment so enorm, wo sich doch der Großteil der solidarischen Bevölkerung penibel an diese Maßnahmen hält? Im März, als das allumfängliche Desinfizieren, das Tragen von Masken und das Abstand halten von Personen noch nicht in den Köpfen angekommen war, weil diese Maßnahmen erst neu waren und auch, weil gar keine Masken vorhanden waren, waren die Zahlen nicht so hoch wie jetzt. Wie kann man das erklären, wenn die Maßnahmen wirklich helfen sollten? Und nein, ich bin nicht damit einverstanden, die Verantwortlichen im uneinsichtigen Partyvolk zu suchen, denn dieses würde das Infektionsgeschehen nur marginal erklären, viel eher sind es wohl die Nachwehen der Reisewellen, die erlaubt waren.

 

Zum Zweiten frage ich mich, warum die Bereiche, in denen die AHA-L Regeln nachweisbar eingehalten werden und können und die ebenso nachweislich NICHT zum Ansteigen des Infektionsgeschehens beitragen, erneut leiden müssen, um nicht zu sagen, bestraft werden?

·      Um sich gegen Bakterien, Viren etc. zu schützen, sind zum einen die Hygienemaßnahmen sehr wichtig, zum anderen sollte jeder Bürger und jede Bürgerin darauf achten, das eigene Immunsystem zu stärken, oder sehen Sie das anders?

 

Was trägt zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Immunsystems bei? Nun, ich kann dies natürlich nicht wissenschaftlich erklären, meine aber mich an Punkte wie Sport, Bewegung, Freude, Lachen, Singen, Tanzen, sich mit Freunden treffen, guter Schlaf, geringes Stresslevel, wenig Sorgen und Ängste neben den harten Faktoren von gesunder Ernährung und der Vermeidung von Genussgiften erinnern zu können.

 

Was im Moment seitens der Politik und der Medien allerdings gefüttert und gedüngt wird, sind Ängste, Sorgen, Existenzängste, Depressionen, Vereinsamung, Abschottung und Isolation.

Wäre es nicht auch Aufgabe der Politik, Ängste zu nehmen, Vertrauen zu wecken und zu schaffen, Optimismus zu stärken und auch zu zeigen, dass, wenn jeder bereit ist, etwas zu tun, dieses Verhalten auch belohnt wird?

Im Moment sind die Ergebnisse niederschmetternd, zumindest für einige Branchen, die erneut mit Füßen getreten werden.

 

·      Demokratie und wertschätzende Kommunikation, Respekt aller Menschen bedeutet für mich persönlich auch, dass man bereit ist, sich unterschiedliche Meinungen anzuhören und diesen selbst dann eine Chance zu geben, wenn sie komplett konträr zur eigenen Einstellung laufen. Zumindest eine Chance geben, zuhören, die Wahrscheinlichkeit in Betracht ziehen, dass an den Erkenntnissen etwas dran sein könnte (Stichwort WHO-Studien zur tatsächlichen Letalität, Ärztegemeinschaften und Politiker, die die getroffenen Maßnahmen kritisch sehen und ablehnen und dies auch begründen können.)

 

Leider sehe ich die oben genannten Punkte im Moment gar nicht mehr. Kritische Stimmen werden nicht gehört (und ich spreche hier nicht von irgendwelchen gelöschten YouTube-Videos). Respekt vor den Menschen, die ihren Teil zur Gesellschaft unter Aufbringung all ihrer Kräfte und Möglichkeiten beitragen? Leider muss ich hier auch sagen: Fehlanzeige.

·      Thema Grundrechte. Es ist ganz klar, dass man sich als Mitglied einer Gesellschaft nicht immer egoistisch permanent selbstverwirklichen kann und dies mit „mein Recht“ argumentativ meint, belegen zu können. Je herausfordernder die Situationen werden, umso mehr muss man auch bereit sein, ein wenig Verzicht zu üben. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

Wenn allerdings darüber nachgedacht wird, die Unverletzlichkeit der privaten Wohnung auszuhebeln (und hier reicht mir persönlich der offen ausgesprochene Gedanke), dann geht das zu weit. Ebenso ist es in keiner Weise gutzuheißen, wenn Bürger und Bürgerinnen dazu aufgefordert werden, mit Argwohn und einer generellen Unrechtsvermutung ihre Nachbarn zu beobachten, um diese dann zu denunzieren.

 

Menschen brauchen Vertrauen. Menschen brauchen Privatsphäre. Menschen brauchen Menschen. Menschen brauchen einen Rückzugsort, der niemanden etwas angeht und der ihr persönlicher sicherer Hafen ist. Verlieren Menschen all diese Dinge, so führt dies unweigerlich zu Stress. Stress führt zu einer vermehrten Ausschüttung von Hormonen, die unserem Immunsystem schaden. Merken Sie etwas?

·      Und dann möchte ich noch eine abschließende Frage stellen. Jens Spahn, Sie sind unser Gesundheitsminister. Was sie denken, was sie sagen sollte in gewisser Weise ein Richtungsweiser sein, oder sehe ich das falsch. Deswegen haben Sie diesen Posten inne, oder?
 

Schon im ersten Lockdown erinnere ich mich an die Aussage, dass Menschen in Fitnessstudios trainieren können sollten, wenn sie das möchten. Gehört hat damals wochenlang niemand auf Sie. Jetzt, kurz vor dem zweiten Lockdown kursierte eine Aussage von ihnen, die beinhaltete, dass ein zweiter Lockdown nicht sein müsse und man sich auch den ersten Lockdown hätte sparen können, wenn man damals schon gewusst hätte, was man heute weiß.
Wieso haben wir dann wieder einen Lockdown? Hört niemand auf sie, werden Sie nicht ernst genommen?

·       

Und nein, das Argument, dass wir einen Lockdown light hätten, lasse ich persönlich für mich nicht gelten. Situationen in welchen Abstände definitiv über längere Zeit NICHT eingehalten werden können (überfüllte S- und U-Bahnen und Züge, zu kleine Klassenzimmer, Flugreisen, Fußballspiele, Mannschaftssportarten (im Profibereich) etc.) sind nach wie vor erlaubt und möglich (aus welchen Gründen auch immer), Situationen in welchen es so gut wie NIE zur Unterschreitung des Mindestabstands kommt und in welchen auch Infektionsketten zweifelsfrei und schnell nachgewiesen werden können, werden verboten.

Auch das Argument, dass Profifußballer und Profisportler in Mannschaftssportarten schließlich ihren Lebensunterhalt damit verdienen würden und Arbeiten ja nach wie vor erlaubt wäre, ist nichtig. Auch ein Gastronom verdient seinen Lebensunterhalt mit seiner Arbeit (das ist im Übrigen meistens so zumindest in der Zielvorstellung), auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Tanzschulen, Yoga- und Fitnessstudios verdienen ihren Lebensunterhalt mit ihrer Tätigkeit, alle Künstler tun dies auch, oder versuchen es zumindest. (das ist der Sinn von Arbeit, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole).

Hier könnten alle AHA-L Regeln eingehalten werden, Infektionsketten verfolgt werden.

Die meisten in den oben genannten Branchen tätigen Personen haben sich an alle Regeln gehalten, Zeit und Geld in die Umsetzung der Hygienekonzepte investiert, sich Gedanken und Sorgen gemacht. Die meisten können aufzeigen, dass sie definitiv nicht zum Infektionsgeschehen beigetragen haben. Das scheint Sie nur nicht zu interessieren und das tut weh.

 

Diese Branchen werden seit Beginn der Pandemie mit Füßen getreten. Wertschätzung, Verständnis, klare Regelungen? Es tut mir leid, aber ich sehe diese nicht.

Natürlich stellt sich dann die Frage, warum das so ist? Geht es letztlich doch nur ums Geld? Haben Künstler, Gastronomen, Tänzer, Yoglehrer und -lehrerinnen, Trainer einfach keine Lobby? Haben Sie selbst noch nie erlebt, wie gut es ihnen tun kann, wenn sie unter fachkundiger Anleitung trainieren und sich so teilweise von jetzt auf gleich Verspannungen und Rückenbeschwerden verbessern? Nein? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.

 

Zum einen merke ich im Moment, dass es mir mit dem jeder Zeile, die ich niederschreibe, schwerer fällt, höflich und sachlich zu bleiben, zum anderen gehe ich leider davon aus, dass die meisten von Ihnen nicht einmal bis hierher lesen werden.

 

Auch weiß ich nicht, mit welch gut gewählten Worten ich diesen Brief zum Abschluss bringen soll, der mehr eine Verzweiflungstat ist, als dass ich glaube, damit auch nur den Hauch eines Gedankenanstoßes bewirken zu können.

Und weil ich es nicht weiß, lasse ich es.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Nadine Rebel

 

Die Antwort  aus dem Oberbürgermeistereferat der Stadt Augsburg darauf lautete wie folgt (übrigens bisher die EINZIGE Rückmeldung):

Sehr geehrte Frau Rebel,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 30. Oktober 2020. Die verzögerte Beantwortung bitten wir zu entschuldigen.

Ich kann Ihnen versichern, dass Ihr Schreiben hier zu Ende gelesen und Ihr Denkanstoß durchaus wahrgenommen wurde.

Ihren Unmut über die erneute Pflicht, Fitnessstudios zu schließen, können wir - aus Ihrer Sicht - durchaus nachvollziehen.

Nichtsdestotrotz wurde in Deutschland die Strategie des Eindämmens der Corona-Pandemie gewählt und angesichts der zuletzt sehr rasant steigenden Fallzahlen war ein gemeinsames Handeln von Kommunen, Land und Bund von Nöten.

Dass die erneute Schließung vor allem die Bereiche Gastronomie, Sport und Kultur trifft, liegt an der Notwendigkeit, ggfs. latente bzw. noch unbekannte bestehende Übertragungsherde zu minimieren und gleichzeitig die für den Alltag unabdingbaren Einrichtungen geöffnet zu halten.

Dazu zählen nach Ansicht von Bund und Ländern aufgrund der notwendigen körperlichen Hygiene auch das Ihrerseits angesprochene Friseurhandwerk.

Da Sie leider zur von der Schließung betroffenen Branche zählen, möchte ich Sie auf die seitens Bund aufgelegte außerordentliche Wirtschaft-Novemberhilfe hinweisen. Nähere Infos hierzu erhalten Sie über die städtische Homepage https://www.augsburg.de/umwelt-soziales/gesundheit/coronavirus/infos-fuer-unternehmen  oder telefonisch über die Corona-Hotline der Wirtschaftsförderung der Stadt Augsburg unter 0821/324-2777.

Bitte verlieren Sie nicht die Zuversicht! Wir hoffen alle auf eine schnelle Besserung der Lage, können diese jedoch nur gemeinsam erwirken. 

Freundliche Grüße

 

 

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