"Wie früher..."



Das höre ich oft, wenn Personen das erste Mal im Luftring (Aerial Hoop) sind. Die Erinnerung an die unbeschwerten Schaukelmomente der Kindheit werden wach, mit ihnen zeigt sich nahezu gleichzeitig ein fast beseelter und glücklicher Gesichtsausdruck.

„Wie früher.“ Das höre ich aber auch oft im Pole-Unterricht, wenn es an das erste Klettern geht. Da werden die Erinnerungen an den Schulsport, das vermeintliche Versagen, wenn es darum ging, die Kletterstangen oder Seile zu erklimmen, wieder lebendig (Anmerkung: Das kann ich gut nachvollziehen, hier habe ich immer die Note 6 kassiert und mich bis auf die Knochen blamiert). Umso stolzer ist dann der Gesichtsausdruck, wenn das Klettern auf einmal klappt und man den Boden verlässt, in luftige Höhen aufsteigt (es braucht halt jemanden, der einem die richtige Technik erklärt).

„Ich kann nicht.“ – Das wiederum ist häufig die Aussage, wenn es darum geht, die erlernten Tricks und Elemente tänzerisch und fließend miteinander zu verbinden (im Pole- und auch im Hoop-Kurs, sogar manchmal im Yoga, wenn es um einen Flow geht). Hakt man ein wenig nach und stellt die Frage, ob die Personen meinen, nicht tanzen zu können oder ob sie nicht tanzen wollen, so hört man fast mit leichter Entrüstung die Antwort: „Ich KANN nicht tanzen, wollen würde ich schon.“

„Wie früher“ und „Ich kann nicht.“

Diese Aussagen haben mich schon immer ins Grübeln gebracht, vor allem, weil ich sie aus meiner Erinnerung so gut nachvollziehen kann. Stundenlang konnte ich auf der Schaukel verbringen. So lange, bis ich fast meine Hände nicht mehr von den Seilen lösen konnte und so nachhaltig, dass ich auch abends im Bett noch das Gefühl hatte, zu schaukeln.
Ich war der Welt entrückt, dem Himmel so nah und alles war leicht.

Ebenso habe ich aber, wie bereits oben beschrieben, das Stangenklettern in der Schule gehasst und kam mir vor wie der schwerste Elefant der Welt, der gerade am kleinsten Grashalm elegant nach oben kommen soll. Scham, Demütigung und ganz ganz viel Ohnmacht begleiteten diese Situationen.

Tanzen? Wundervoll. Als die Klasse einen Tanzkurs gemacht hat, war ich im Schwimmtraining. Ich habe nie gelernt zu tanzen und fand es dennoch immer schön. Tanz ist für mich ein Einblick in die Seele der tanzenden Personen, dazu muss die Seele natürlich so schön sein wie das Äußere, das die schönen Tänzer und Tänzerinnen darstellen. Da hatten wir dann schon Problem Nummer 1: Denn wenn man von sich das Bild eines „clumsy elefant“ hat, sich eher lächerlich als grazil vorkommt, dann wird es schwer, das richtige Bild zu malen, die richtigen Bewegungen zu finden. Noch bevor man eine Bewegung im Kopf zu Ende gedacht hat, bügelt man sie nieder: „Sieht sowieso doof aus. Ich kann das nicht, das sieht lächerlich aus.“

Warum beseelt uns Schaukeln, macht uns Klettern Angst und woher kommt der Wunsch zu tanzen, den man so selten verwirklicht? Und macht vielleicht genau die Mixtur dieser 3 Bereiche unter anderem auch den Reiz am Polesport und Aerial Hoop Training aus?

Ein bisschen was war noch vom Studium übrig. Im Kopf schwirrten Reste der Vorlesungen zu frühkindlicher emotionaler Entwicklung, zum Hospitalismus, der seines Zeichens durch Schaukelbewegungen der Patienten (unter anderem) gekennzeichnet ist. Genug, um hier anzusetzen?
Schaukeln stellt eine Form der basalen Stimulation dar, ist somit eine Form der körperbezogenen Kommunikation. Wir reden mit uns, nicht nur im Kopf, sondern ganzheitlich, mit dem Körper. Wiegen und Schaukeln tun dem Menschen gut.


Bring dein Leben kontrolliert aus dem Gleichgewicht und Du stehst sicherer!

Heute findet diese basale Stimulation auch in Altenheimen wieder Anwendung und geht auf einen Ansatz von Prof. Andreas B. Fröhlich zurück, der 1975 ein Konzept entwickelte, dessen Ziel es war, körperlich und geistig benachteiligte Kinder zu fördern. Dieses Konzept übertrug Prof. Christel Birnstein (Universität Witten/Herdecke) in den Bereich der Pflege von alten Menschen, die ihrerseits mit Beeinträchtigungen zu kämpfen haben.

Vereinfacht zusammengefasst kann man sagen, alles, was das Gleichgewichtsorgan, die Gleichgewichtswahrnehmung fördert und fordert, tut uns gut. Sich selbst in veränderten Positionen im Raum wahrnehmen, kann glücklich machen und beruhigen. Die sogenannten „vestibulären Anregungen“ stabilisieren dabei die Haltung des Menschen und normalisieren seinen Muskeltonus, so stellt sich bei vielen ein allgemeines und tiefes Wohlbefinden ein, so dass sogar Schmerzmedikamente überflüssig werden können und Menschen wieder sicherer auf den Beinen sind(amerikanische Studie der Universität Rochester bei Bewohnern eines Altenpflegeheims).
(Wer hier mehr dazu lesen möchte: https://www.welt.de/print/die_welt/wissen/article13832445/Schaukeln-ist-Magie-und-Medizin.html)

Ja, das bestätigt auch die Wichtigkeit und Notwendigkeit des sogenannten Propriozeptionstrainings (Schulung der Körperwahrnehmung), welches ein elementarer Bestandteil der Ausbildung zum medizinischen Fitnesstrainer darstellte. Sich selbst wahrnehmen und diese Wahrnehmung körperlich aktiv steuern können, das gehört unter anderem zur Kapitel der Sturzprophylaxe.

Ungewollte Bodenhaftung

So sehr uns Schaukeln beseelt, so häufig sind auch die demütigenden Erfahrungen mit dem Klettern. Dabei hat auch das Klettern therapeutische Wirkung. Klettern wird heute in einigen Therapien als eine von zahlreichen körperorientierten Methoden angewendet. Wir bieten es im Rahmen des „Embodiment – Acrobatic Therapy“ als Coachingmethode an.
Um die Menschen, die zu uns kommen, zu demütigen? Mitnichten. Wir zeigen, dass man mit der richtigen Technik über sich selbst hinauswachsen, Ängste überwinden und Leidenszustände lindern kann.

Das Klettern, die Höhe und vor allem das unsichere Turngerät können hier stellvertretend für die äußeren Gegebenheiten und die Unabwägbarkeiten des Lebens stehen. Dünn, wacklig, wenig Halt, rutschig und unten gähnt der Boden wie ein Schlund der mich verschlingen möchte. Wirklich verlockende Aussichten! Wenn man lernt, die richtige Technik einzusetzen, sich zu vertrauen und Kräfte dosiert einzusetzen, dann merkt man, dass man auch davor gar nicht mehr so viel Angst haben muss und wächst buchstäblich über sich hinaus.

Erwiesen ist, dass Klettern auf diesem Weg das Selbstvertrauen, die Kommunikation, das Körpergefühl, die Wahrnehmung von Emotionen verbessern kann und so ganz nebenbei ein super Muskeltraining darstellt, welches auch noch den Kopf fordert und so ein ganzheitliches Zusammenspiel der Sinne offeriert.

Tanz! Es muss auch nicht dein Name sein.

Fehlt uns noch der Blick auf das Element des Tanzes. Die Erfahrung zeigt uns, dass Kinder tanzen bevor sie laufen können. Fast instinktiv beginnen sie früher oder später, sich rhythmisch (mehr oder weniger geschickt, aber immer mit vollem Selbstverständnis) zur Musik zu bewegen. Jeder von uns hat das schon einmal beobachten können. Altersübergreifend vom Baby bis zum Kleinkind, in allen Ethnien und Nationen. Doch irgendwann hört es auf. Warum?

Vielleicht, weil jemand gelacht hat? Vielleicht, weil mich jemand ausgelacht hat? Wäre Tanz nur Bewegung, so wäre das doch nicht so schlimm, oder? Wenn Tanz aber ein geöffnetes Fenster zum emotionalen Seelenleben darstellt und somit auch einen Grad der Verletzlichkeit, so ist Lachen eine Waffe, die in diesem Moment gegen mich gerichtet wird. Das verunsichert oder tut weh. Im Zuge des Vermeidungsverhaltens hört man dann auf zu tanzen.

(Auch hier habe ich mehrere interessante Ansätze gefunden, einen Artikel kann man hier nachlesen: https://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/wie-tanzen-als-medizin-wirkt-und-gluecklich-macht-a-881579.html)
In diesem Artikel beschreibt Gunter Kreutz (Universität Oldenburg), dass Tanzen entspannt und gegen Krankheiten helfen kann. Er spricht davon, dass Tanz Leben ist und sich langfristig keine Herrschaft durchsetzen konnte, die Tanz und Musik verboten hatte.

Tanz vereint die Geschlechter, ganz gleich wie viele es sein mögen. Tanz ist Körperlichkeit und kann nur mit dem Ausleben dieser vonstatten gehen, setzt also Offenheit, Selbstvertrauen und Kenntnis des eigenen Körpers voraus, verbessert diese Verhaltensweisen aber gleichermaßen auch. Studien weisen nach, dass während des Tanzens die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Speichel sinkt. Das funktioniert ohne Musik und Tanz nicht.

Folgt man den Ausführungen von Kreutz weiter, so kann man nachlesen, dass Tanzen das Demenzrisiko um 76% reduziert (persönliche Anmerkung (schmunzelnd): Warum kann ich mir dann nie eine Choreo merken?.) Tanzen beansprucht so viel der Hirnkapazität, dass es nach Kreutz Motorik, Aufmerksamkeit, Langzeitgedächtnis und Kurzzeitgedächtnis beansprucht und somit trainiert.

Tanzen heilt

Eine Studie zeigte (so Kreutz), dass Tanzen auch bei multipler Sklerose helfen kann und führt hier eine Patientin an, die nach 5-monatiger Tanztherapie gänzlich auf eine ihrer 2 Gehhilfen verzichten konnte. Bei Parkinson wird eine Verbesserung der Mobilität erreicht. Auf die Frage, wie das gehen könne, bestätigt Kreutz die in mir schlummernde (nicht wissenschaftliche) Vermutung, dass das über die Psyche vonstatten ginge. Menschen distanzieren sich von ihrem „Ich fühle mich mies-Ich“ und entfliehen in andere Welten. Durch Musik und rhythmische Bewegungen. Das tut gut und wenn keiner lacht, dann fühlt man sich frei.

Kleine Oasen und geschützte Räume

Und so vereinen wir vieles, was wir brauchen durch Tanz und Akrobatik, Yoga und Bewegung. Ohne es vielleicht vorher gewusst zu haben, dienen diese Auszeiten nicht nur dem Training der Muskulatur, sondern auch der Reinigung der Seele.

Vielleicht liegt daran der Reiz von Poledance, Aerial Hoop und der nicht endend wollende Erfolgsweg von Yoga. Ohne diese Elemente fehlt uns etwas und wo kann man denn sonst als Erwachsener schon schaukeln (außer man fährt nach Montreal, das gibt es Bushaltestellen mit Schaukeln)?
(Mehr zum Ansatz des „Embodiments – acrobatic therapy“ findet man hier: https://www.rebel-management-training.de/einzelcoaching-und-beratung

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