Flexibilität trainieren, Grenzen akzeptieren – Agree to disagree
Im Sport sagt man dem Training der Flexibilität nach, dass es eine gute Methode sei, den Bewegungsapparat gesund zu erhalten, Stress zu vermindern und Verspannungen zu lösen.
Durch Dehnungsübungen „zieht“ man den Muskel in die Länge. Ansatz und Ursprung des Muskels sollen sich weiter voneinander entfernen – vereinfacht und sinnbildlich gesprochen.
Dieses „Langziehen“ kann eine bessere Aufnahme von Nährstoffen und Sauerstoff verursachen und ist somit (richtig ausgeführt) gesund. Am Anfang verursacht Dehnen Schmerzen. Auch das ist normal und als gesundes Warnsignal des Körpers zu verstehen. Kommunikation mit dem Körper, Atmung, Geduld und Ruhe sind hier wichtige Faktoren, die vor Verletzungen schützen.
Übertragen wir dieses Wissen um die Auswirkungen von Dehnungsübungen auf unseren Kopf, lassen sich metaphorische Gemeinsamkeiten erkennen.
Sturheit ist die Unflexibilität des Geistes
Das Training der Flexibilität stärkt auf Dauer Sehnen und Bänder, die Haltestrukturen unseres Körpers, die Unterstützer unserer knöchernen Strukturen.
Ähnlich kann das auch mit dem Zulassen anderer Sichtweisen und Meinungen sein.
Am Anfang verursacht es bei manchen Menschen scheinbar körperliche Schmerzen, auch nur zu registrieren, dass Dinge unterschiedlich betrachtet werden können. In Anlehnung an die oben genannten Dehnungsschmerzen, schützt sich der Kopf vor Verletzungen. Es überfordert die geistige Reichweite und muss deswegen vermieden werden.
Doch ebenso in Anlehnung an Dehnungsübungen für den Körper, kann es sogar gesund sein, sich auf die mögliche Erweiterung des eigenen geistigen Horizonts einzulassen.
So wie Dehnen im körperlichen Bereich einen Ausgleich muskulärer Dysbalancen schaffen kann, so könnte das theoretisch auch im Geiste passieren.
Mit Gewalt geht gar nichts und schnell auch nicht
Dehnen, Stretching, das Training der Flexibilität setzt voraus, dass man sich darauf einlässt. Man braucht Zeit, sich mit dem Körper auseinanderzusetzen. Man muss mit dem eigenen Körper kommunizieren. Bei jeder neuen Dehnungsübung reagiert auch unser Körper erst einmal stur: „Nö! Kenne ich nicht. Will ich nicht. Habe ich noch nie gemacht. Geht nicht. Tut weh. Lassen. Aufhören.“
Nun können wir der Forderungen und dem Willen unseres Körpers nachgeben und es bleiben lassen. Oder wir gehen in Mini-Schritten vorwärts, geben dem Körper Zeit, respektieren seinen Schmerz, hören auf ihn, wiederholen, trainieren und geben nicht auf.
Natürlich können wir auch versuchen, den Körper zu zwingen, weil wir es ja schließlich besser wissen. Im Sport wissen wir alle, wie ein solcher Versuch endet.
Geistig ist es ähnlich
Die Erweiterung geistiger Horizonte setzt voraus, dass man sich dafür Zeit nimmt, dass man Gegenargumente nicht sofort vom Tisch wischt, dass man Meinungen anhört und die Schmerzen der anderen Partei, wenn diese sich auf neue Meinungen einlassen soll, ernst nimmt. Auch hier führt Zwang zu gar nichts.
Wertschätzende Kommunikation
Das Schlagwort schlechthin der letzten Jahre und Monate, wenn es um innerbetriebliche Schulungsmaßnahmen im Bereich Führung und Teams ging. Das war vor Corona.
In den letzten Monaten scheint diese wertvolle Grundlage gemeinsamen Miteinander-Redens wieder unbedeutender geworden zu sein. Schade eigentlich.
Agree to disagree
Wir sind uns darüber einig, dass wir uns nicht einig sind.
Klingt ein wenig wie Sokrates berühmte Aussage: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ (Korrekt übersetzt müsste es angeblich heißen: Ich weiß, dass ich nicht weiß.)
Sokrates ist sich des Umstands bewusst, dass ihm das Wissen, welches über jeden Zweifel erhaben ist, fehlt. Kluger Mann.
Wissen ist nie allumfassend. Das wäre auch schlimm und schade, denn dann könnte man die Forschung und Entwicklung auch aufgeben. Zwischen Schwarz und Weiß existieren viele Grautöne, manchmal sogar Farben.
Ein (wissenschaftlicher) Diskurs setzt voraus, dass sich alle Parteien der Wahrscheinlichkeit bewusst sind, dass sie falsch liegen könnten. Trotzdem oder gerade deswegen interessieren sie sich für die Betrachtungen anderer.
Und am Ende eines Tages kann man dem anderen mit Respekt begegnen, obwohl man festgestellt hat, dass sich der andere nicht von der eigenen Sichtweise hat überzeugen lassen.
Agree to disagree – ein hohes Ziel!
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