Nur Eitelkeit oder bedenkliche Realitätsflucht?

Fotos sind toll. Fotos halten bidllich fest, was Personen tun. Fotos sind Zeitzeugen. Fotos transportieren Emotionen und Erinnerungen.

Reale Zeitzeugen

Musste man früher umständlich einen Termin (ganz früher!) beim Fotografen vereinbaren, um hinterher gestellte Familienfotos mit meist grießgrämigen Gesichtern sein eigen nennen zu dürfen, so sind heute die Fotoapparate (klein, handlich, schnell) und die Smartphones (klein, handlich, schneller) überall dabei und halten aus der Perspektive verschiedener Personen fest, was es festzuhalten gibt, um es möglichst postwendend mit allen anderen interessierten und weniger interessierten Personen zu teilen.

Was hier klingen mag, wie die Ausführungen eines Moralapostels ist durchaus auch selbstkritisch gedacht, denn auch ich gehöre zu den Personen, die diese Möglichkeiten liebt und nutzt. Doch...

Schnappschüsse und der GMV


Ich finde Fotos voller Leben toll. Menschen die lachen, oder durchaus auch einmal kritisch gucken, denn für mich ist das eine moderne Art des "Tagebuch-Schreibens".
Dass dabei mitunter Bilder herauskommen, die, na ja, sagen wir einmal wenig schmeichel- oder vorteilhaft für die eigene Person sein können, ist klar. Der Fotograf oder auch die Fotografin kennt aber meist auch die Ich-Ideal-Vorstellung der Protagonisten und löscht vorab Bilder, die zu weit von dieser Ideal-Vorstellung entfernt sind.
Ist das nicht der Fall, dürfen die Protagonisten sich - vor allem bei der Veröffentlichung auf diversen sozialen Plattformen - gerne melden, was diese (je ausgeprägter die Idealvorstellung von Äußerlichkeiten, desto schneller und häufiger!) auch meist tun. Das alles entspricht dem GMV - dem gesunden Menschenverstand.

Soweit so gut und ja: Das habe ich auch schon getan, wenn ich mich so gar nicht sehen mochte auf einem Bild und auch nicht wollte, dass andere mich so sehen können.

Künstlicher Abklatsch diverser Hochglanzmagazine

Doch was wirklich nervt und leider auch überhand zu nehmen scheint: Immer mehr Personen bitten um die Löschung von Partyfotos, weil sie a) im Gespräch, b) kritisch, c) mit einem Fältchen zuviel, d) mit einem nicht sichtbaren Krümel zwischen den Zähnen, e) zu müde, f) zu frisch, g) zu unvorteilhaft im Allgemeinen h)nicht posierend genug, usw. usw. usw. abgelichtet worden sind.

Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!

Solange die Person allein auf dem Foto zu sehen ist, halte ich das Ganze vielleicht für ein wenig überzogen und seltsam, aber komme dem Wunsch auch gerne nach: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!
Doch wenn ein wirklich guter Schnappschuss, der zwei, drei oder gar noch mehr Personen zeigt, auf den Wunsch einer Person, die sich darauf nicht mag, gelöscht werden soll, dann frage ich mich schon, ob dies noch sinnvoll ist?

Purer Egoismus

Klar gibt es Bilder, auf denen gefallen mir alle anderen abgelichteten Personen auch besser, als ich mir selbst und so wird es vielen desöfteren gehen. Doch wer bin ich denn, dass ich dann auf die Löschung dieses Bildes, welches mehrere Personen in netter Art und Weise zeigt, bestehen kann? Ich bringe dann meine Meinung gerne als Kommentar zum Ausdruck: "Na super, wie sehe ich da denn wieder aus!" - aber ich meine auch, dass ich so etwas aushalten muss - bis zu einem gewissen Grad!

Interessant dabei ist, dass viele Personen, die pragmatisch und realitätsnah sind, sehr souverän mit solchen "Schnappschüssen" umgehen. Interessant ist aber auch, dass vor allem die Personen, die bei der Vergabe von modernen Schönheitsstandards sowieso schon 5x "hier" geschrien haben (oder so ähnlich!) mit perfider Genauigkeit nach "Fehlern" in der Ablichtung ihrer Person suchen und dann auf der Löschung des Bildes bestehen.

Ganz klar:

Kein Mensch - egal ob Männlein oder Weiblein - möchte im kranken oder angeheiterten Zustand zu später oder früher Stunde mit entglittenen Gesichtszügen a)fotografiert und b) dem Rest der sozialen Gemeinde gezeigt werden.
Ein wenig Zurückhaltung und Realitätsnähe im Umgang mit dem fotografierten Ich wäre allerdings ganz schön, vor allem, wenn es um Gruppenfotos geht!


Kommentare

  1. hallo nadine

    interessanter beitrag! ich hatte schon ähnliche probleme mit fotografierten.

    die grundsätzliche auseinandersetzung mit dem öffentlichen *ich* wird immer notwendiger. irgendwo verschwimmt gerade die grenze zwischen dem web2.0 und dem life1.0!

    die weltweite gesellschaft in ihrem zusammenleben ist in einem umbruch, der so fundamental ist, wie weiland, als der einzelkämpfer mensch zum rudeltier wurde und sich in gemeinschaften zusammenrottete. hier hat er schon gewisse bereiche seines egos gegen andere annehmlichkeiten eingetauscht! also von *höhle 1.0* auf *gesellschaft 1.0*! scheinbar erfolgreich, denn das prinzip *sozial* ist seit jahrtausenden ein erfolgsmodell.

    der wandel ist wohl genauso unumkehrbar, vom sozialen menschen zum öffentlichen, welt-präsenten menschen, der selbstbestimmt und selbstbewusst(dein appell!!!!) sich in einer universell zugänglichen öffentlichkeit bewegt!

    es wird ein kleinerer und zu schützender intimbereich bleiben, jedoch bewegen wir uns künftig in einer öffentlichen cybergesellschaft – dort kann man uns tracen, beobachten, kontaktieren, mit uns grenzenlos kommunizieren, und wir werden dank eines unendlich großen cyberspeichers auch quasi unsterblich, soll heissen von der wiege bis zur bahre werden unsere spuren aufgezeichnet. jederzeit für jeden abrufbar. die gesellschaft hat längst die weichen gestellt, dass sie/wir das so wollen! jetzt müssen wir uns darauf einstellen! die nachteile akzeptieren und die vorteile herausarbeiten, nutzen.

    ich hatte beim lesen deines artikels einen sehr bildhaften gedanken: nach google streetmaps und der anonymisierung von gesichtern in gruppenfotos im web 2.0 .... ich gehe durch die maxstrasse und mir begegnen ab und zu menschen deren gesichter weggepixelt sind ... life(gesellschaft)2.0?? kommt das auf uns zu? ich gehe auf so einen menschen zu und frage: »wer bist du?« und bekomme zur antwort: »es tut mir leid, solche informationen sind nur für bestimmte personen zugänglich!«

    *dislike!!!!!*

    grüße
    hannes

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